.

Ordnung für die Ombudsstelle zum Schutz vor Gewalt

Vom 1. Februar 2024

ABl. Nr. 4/2024, 29/2024

####

Präambel

In Bezug auf Schutz vor Gewalt jeglicher Art sehen sich die Körperschaften nach Art. 13 Abs. 1 der Verfassung der Evangelischen Kirche A.u.H.B. in Österreich, alle evangelisch-kirchlichen Vereine gemäß Art. 69 und 70 (in Folge kurz „Verpflichtete“ genannt) sowie alle Personen, die haupt-, neben- oder ehrenamtlich im Namen und Auftrag der Evangelischen Kirchen A.B., H.B. und A.u.H.B. tätig sind, allen Personen verpflichtet, welche die Gemeinschaft der Evangelischen Kirchen bilden oder an ihr teilhaben. Sie setzen sich mit dieser Ordnung zum Ziel, die Anwendung von Gewalt jeglicher Art zu verhindern. Aufgetretene (Verdachts-)Fälle von Gewaltanwendung sollen aufgezeigt und einer satzungsgemäßen Behandlung zugeführt werden.
#

I. Geltungsbereich und rechtlicher Rahmen

#

§ 1

( 1 ) Dieses Kirchengesetz findet grundsätzlich auf alle in der Präambel genannten Verpflichteten Anwendung. Davon ausgenommen sind kirchliche Werke, evangelisch-kirchliche Gemeinschaften, Stiftungen und Vereine (wie z.B. Einrichtungen der Diakonie), wenn für diese Organisationen eine eigene unabhängige Ombudsstelle für Schutz vor Gewalt besteht. Es gilt für alle haupt-, neben- und ehrenamtlich Mitarbeitenden der diesem Gesetz unterliegenden Verpflichteten und darüber hinaus für alle Menschen, welche durch Besuche, Mitwirkung oder Mitgestaltung ihre Zugehörigkeit zu den genannten Verpflichteten zum Ausdruck bringen. Es basiert auf dem christlichen Weltbild der Evangelischen Kirchen sowie auf dem rechtlichen Rahmen der Europäischen Menschenrechtskonvention1, der UN-Kinderrechtskonvention2, der UN-Behindertenrechtskonvention3, der Istanbul-Konvention des Europarates zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen4 sowie der österreichischen Gesetze, die sich gegen Gewalt richten.
( 2 ) Von der gegenständlichen Ordnung bleiben die staatlichen Gesetze und EU-rechtlichen Bestimmungen zur Gleichbehandlung und zum Schutz vor Gewalt unberührt.
( 3 ) Allfällige in Kirchengesetzen, Verordnungen oder in Synodenbeschlüssen verfasste Sonderbestimmungen gehen den Bestimmungen dieser Ordnung vor.
( 4 ) Zur näheren Ausführung dieser Ordnung erlässt die Generalsynode eine Rahmenrichtlinie zum Schutz vor Gewalt einschließlich zugehöriger Anhänge. Änderungen der Rahmenrichtlinie obliegen der Generalsynode.
( 5 ) Soweit aufgrund von Änderungen der Rahmenrichtlinie zum Schutz vor Gewalt oder sonstiger gesetzlicher Grundlagen eine Anpassung der Anhänge der Rahmenrichtlinie erforderlich ist, sind diese Anhänge vom Oberkirchenrat A.u.H.B. durch Beschluss entsprechend anzupassen und zu verlautbaren.
#

II. Definitionen von Gewalt und Verbot der Gewaltanwendung

#

§ 2

( 1 ) Die Definitionen von Gewalt sind in der Rahmenrichtlinie zum Schutz vor Gewalt (kurz: Gewaltschutzrichtlinie) ausgeführt und finden auf diese Ordnung uneingeschränkt Verwendung.
( 2 ) Keine dieser Definitionen von Gewalt entbindet von der individuellen, institutionellen und gesellschaftlichen Verantwortung, sich im Kontext des Handelns (jeweiliges Handlungsfeld, Art des Abhängigkeitsverhältnisses, kulturelle Bedingungen und Sozialisationsbedingungen, Alter, Geschlecht etc.) mit der Frage auseinanderzusetzen, was einerseits individuell als Gewalt empfunden werden kann oder was andererseits als gewaltsam gilt und verboten ist. Jedenfalls steht das österreichische Rechtssystem, und was hier als Gewalt definiert ist, über kulturellen Faktoren und Sozialisationsfaktoren.
#

§ 3

( 1 ) Das Verbot der Gewaltanwendung erfasst jede Handlung, welche mit oder ohne benachteiligende Auswirkung auf die betroffene Person den Schutz vor Gewalt verletzt.
( 2 ) Die Verpflichteten entwickeln und wenden auf allen Ebenen eine Kultur der Achtsamkeit an, die sich aus dem christlichen Glauben begründet. Kultur der Achtsamkeit heißt:
  • bei Gewalt und Grenzverletzungen hinzuschauen, sie zu benennen und Verantwortung zu übernehmen,
  • das Bewusstsein für alle Formen der Gewalt und Grenzverletzung zu schärfen,
  • Gewalt und Grenzverletzungen entgegenzutreten,
  • Sensibilität in Bezug auf Nähe und Distanz zu leben,
  • ein offenes Klima im Umgang mit Fehlern zu schaffen,
  • Betroffenen von Gewalt Hilfe und Unterstützung zukommen zu lassen.
#

III. Einrichtungen für die Behandlung von (Verdachts-)Fällen von Gewalt

#

§ 4
Ombudsstelle

( 1 ) Für alle Arten von Beschwerden und Anfragen im Zusammenhang mit (Verdachts-)Fällen von Gewalt steht den diesem Gesetz unterliegenden Verpflichteten die Ombudsstelle der Evangelischen Kirche in Österreich zur Verfügung. Betreffen Beschwerden und Anfragen nicht nach diesem Gesetz Verpflichtete (vgl. § 1 Abs. 1), so sind diese Beschwerden und Anfragen an die zuständige Ombudsstelle weiterzuleiten.
( 2 ) In der Ombudsstelle der Evangelischen Kirche in Österreich arbeitet eine Ombudsperson weisungsfrei und mit einem hohen Maß an Vertraulichkeit. Bei Vorliegen eines strafgesetzlich relevanten Tatbestandes hat die Ombudsperson die beauftragte Stelle für Gewaltprävention unter Offenlegung der von dem Vorwurf betroffenen Personen unverzüglich zu informieren. Mit Zustimmung der betroffenen Personen kann die Ombudsperson außerdem gegenüber namentlich genannten Personen Informationen zum (Verdachts-)Fall von Gewalt geben. Alle personenbezogenen Informationen, von denen die Ombudsperson Kenntnis erlangt, unterliegen ansonsten – auch über die Beendigung der Tätigkeit – hinaus der Verschwiegenheitspflicht.
( 3 ) In welchen (Verdachts-)Fällen von Gewalt und in welcher Form die Ombudsstelle verpflichtend zu kontaktieren ist bzw. in welchen Fällen die Bearbeitung der (Verdachts-)Fälle im Rahmen der eigenen Organisationsstruktur ausreichend ist, wird durch die Rahmenrichtlinie und in dem dazugehörigen Anhang 1 „Meldepflicht an die Ombudsstelle“ näher ausgeführt.
( 4 ) In allen (Verdachts-)Fällen von Gewalt an Kindern und Jugendlichen stehen den Verpflichteten neben der Ombudsstelle auch Ansprechpersonen der Evangelischen Jugend Österreich zur Verfügung.5
( 5 ) Zusätzlich steht den Betroffenen von Gewalt der Weiße Ring zur Verfügung.
#

§ 5
Ombudsperson

( 1 ) Die Ombudsperson und ihre Vertretung werden vom Oberkirchenrat A.u.H.B. bestellt, die Bestellung erfolgt für die Dauer der jeweils laufenden Gesetzgebungsperiode der Generalsynode. Der Oberkirchenrat A.u.H.B. kann zur Bewertung der Qualifikation der zu bestellenden Ombudsperson und deren Vertretung externe Expertinnen und Experten aus dem Bereich des Gewaltschutzes beiziehen. Die Ombudsperson und ihre Vertretung werden von der Evangelischen Kirche A.B. (ab 1. Jänner 2025 von der Evangelischen Kirche A.u.H.B.) angestellt oder beauftragt, wobei sämtliche Kosten für den Arbeits- und Sachaufwand von der Evangelischen Kirche A.u.H.B. getragen werden.
( 2 ) Name und Kontaktdaten der Ombudsperson sind auf der Homepage der Evangelischen Kirche A.u.H.B. bekannt zu machen.
( 3 ) Die Abberufung aus wichtigen Gründen und die Nachbesetzung der Ombudsperson und ihrer Vertretung erfolgt durch den Oberkirchenrat A.u.H.B.
( 4 ) Die Ombudsperson steht für Anfragen per E-Mail bzw. nach Vereinbarung auch telefonisch bzw. persönlich zur Verfügung.
#

§ 6
Aufgaben der Ombudsstelle/Ombudsperson

( 1 ) Die Ombudsperson nimmt jegliche Meldung von Gewalt oder Verdacht auf Gewalt (Anhang 3 zur Gewaltschutzrichtlinie, „Meldeformular – online“) entgegen und geht den Vorfällen zeitnah und vertraulich nach. Sie nimmt mit den betroffenen Personen Kontakt auf und unterstützt sie gegebenenfalls bei der weiteren Vorgehensweise. Im Bedarfsfall zieht sie externe Fachstellen bei. Zudem werden alle notwendigen Maßnahmen in die Wege geleitet und diese Maßnahmen – wenn es der Einzelfall erfordert – auch begleitet. Die Entscheidung, welche Personen und Ebenen in die Klärung einbezogen werden, liegt im Ermessen der Ombudsperson.
( 2 ) Maßnahmen, die zur Bearbeitung des Falles zu treffen sind, werden von der Ombudsperson unter Angabe des zeitlichen Rahmens der Umsetzung und unter Nennung der für die Umsetzung verantwortlichen Personen schriftlich festgehalten.
( 3 ) Die Ombudsperson ist verpflichtet, die jeweilige Leitungsebene zeitnah über Gewaltvorfälle bzw. das Vorliegen eines Verdachtes auf Gewalt zu informieren. Die Ombudsperson entscheidet gemeinsam mit der oder dem Beauftragten für Gewaltprävention, ob die Kirchenleitung über einen (Verdachts-)Fall sofort informiert werden muss.
( 4 ) Für Entscheidungen in Bezug auf die beschuldigte Person, seien es kurzfristig wirksame oder endgültige Maßnahmen, ist die Leitung der jeweiligen Organisation/Einrichtung zuständig. Bei Ehrenamtlichen ist dafür die für diese ehrenamtliche Person zuständige Stelle verantwortlich. Werden nach einem (Verdachts-)Fall von Gewalt die von der Ombudsperson vorgeschlagenen Maßnahmen von den Beteiligten nicht umgesetzt, so informiert die Ombudsperson darüber die Beauftragte oder den Beauftragten für Gewaltprävention.
( 5 ) In Fällen, in denen sich Vorwürfe gegen Mitglieder des Oberkirchenrates richten, ist von der Ombudsperson die Präsidentin oder der Präsident der Generalsynode zu informieren. Wenn sich die Vorwürfe gegen Mitglieder des Präsidiums der Generalsynode richten, ist hingegen die oder der jeweilige Beauftragte für Gewaltprävention zu informieren.
( 6 ) Die Ombudsperson hat auch die Aufgabe, die Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen zu überprüfen. In welcher Form die Überprüfung der Umsetzung der vereinbarten Maßnahmen erfolgt, ist im dazugehörigen Anhang der Rahmenrichtlinie (Anhang 4 „Abschlussprotokoll – online“) ausgeführt. Der jeweilige (Verdachts-)Fall von Gewalt gilt als abgeschlossen, sobald das Abschlussprotokoll in der Endfassung vorliegt. Dieses Abschlussprotokoll ist von der Ombudsperson unter Wahrung der Datenschutzrichtlinien zu archivieren.
#

§ 7
Rechte und Pflichten der Ombudsperson

( 1 ) Die Ombudsperson hat im Rahmen ihrer Tätigkeit ein Auskunftsrecht gegenüber sämtlichen kirchlichen Einrichtungen, wobei eine Einsichtnahme in Personaldokumente nur mit Zustimmung der betroffenen Person zulässig ist.
( 2 ) Die Ombudsperson ist verpflichtet, jegliche Meldung von Gewalt oder Verdacht auf Gewalt entgegenzunehmen.6 Wenn sich die beobachtende Person unsicher über die Bedeutung ihrer Beobachtungen ist, obliegt der Ombudsperson die entsprechende Beratung, um die Beobachtungen richtig einschätzen und gegebenenfalls entsprechende Maßnahmen in die Wege leiten zu können.
( 3 ) Die Ombudsperson hat der Generalsynode in Kooperation mit der oder dem Beauftragten für Gewaltprävention jährlich einen schriftlichen Bericht vorzulegen. Die Berichte über (Verdachts-)Fälle von Gewalt werden in anonymisierter Form vorgelegt. Der Ombudsperson ist die Möglichkeit einzuräumen, in der Generalsynode hierüber zu referieren.
#

§ 8
Beauftragte Stelle für Gewaltprävention

( 1 ) Die Personalreferentin oder der Personalreferent des Evangelischen Oberkirchenrates A.B. oder ein vom Oberkirchenrat A.B. zu bestimmendes Mitglied übernimmt für die Evangelische Kirche A.B. und für die Evangelische Kirche A.u.H.B. die Aufgaben als Beauftragte oder Beauftragter für Gewaltprävention. Diese Stelle ist für die langfristige Umsetzung der Maßnahmen sowie für Qualitätssicherung und Weiterentwicklung der Gewaltpräventionsaktivitäten verantwortlich.
( 2 ) In der Evangelischen Kirche H.B. übernimmt die Landessuperintendentin oder der Landessuperintendent oder ein zu bestimmendes Mitglied aus dem Oberkirchenrat H.B. die Aufgaben als Beauftragte oder Beauftragter für Gewaltprävention.
( 3 ) Die Vertretung der Beauftragten für Gewaltprävention bei Abwesenheit wird durch den Oberkirchenrat A.B. und den Oberkirchenrat H.B. geregelt.
#

§ 9
Aufgaben der Beauftragten für Gewaltprävention

( 1 ) Die oder der jeweils zuständige Beauftragte für Gewaltprävention ist seitens der Ombudsperson immer dann einzubeziehen, wenn ein strafgesetzlich relevanter Tatbestand vorliegt und/oder seitens der Betroffenen – vor allem seitens der Leitungspersonen – keine wirksamen Sofortmaßnahmen ergriffen werden. Die jeweilige Vorgehensweise ergibt sich aus dem Einzelfall.
( 2 ) Zudem ist die oder der jeweils zuständige Beauftragte für Gewaltprävention für die langfristige Umsetzung der Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt sowie für Qualitätssicherung und Weiterentwicklung der Gewaltpräventionsaktivitäten verantwortlich.
( 3 ) Die oder der Beauftragte für Gewaltprävention hat in Kooperation mit der Ombudsperson zum Schutz vor Gewalt der Generalsynode einen schriftlichen Bericht vorzulegen. Der oder dem Beauftragten für Gewaltprävention und der Ombudsperson ist die Möglichkeit einzuräumen, in der Generalsynode hierüber zu referieren.
#

IV. Verfahrensregeln und Inkrafttreten

#

§ 10

( 1 ) Die Ombudsstelle zum Schutz vor Gewalt ist sowohl für allgemeine Anfragen als auch für konkrete Anfragen zu (Verdachts-)Fällen von Gewaltanwendung zuständig.
( 2 ) Zielsetzung für die Tätigkeit der Ombudsstelle ist die Unterstützung bei (Verdachts-)Fällen von Gewalt unter Aufzeigen der aus dieser Ordnung abgeleiteten Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt.
( 3 ) Zumindest halbjährlich tritt ein Gewaltschutzgremium, bestehend aus den beiden Gewaltschutzbeauftragten, der Ombudsperson und der oder dem Gleichstellungsbeauftragten zur laufenden Abstimmung der Aufgabenbereiche zusammen. Die Sitzungen des Gewaltschutzgremiums werden von der oder dem Gewaltschutzbeauftragten der Kirche A.B. einberufen.
( 4 ) Der Oberkirchenrat der Evangelischen Kirche A.u.H.B. kann mit der Evangelisch-Methodistischen Kirche (EMK) eine Vereinbarung abschließen, mit welcher die Ordnung für die Ombudsstelle zum Schutz vor Gewalt auch für die EMK sinngemäß Anwendung findet.
#

§ 11

( 1 ) Die gegenständliche Ordnung zum Schutz vor Gewalt tritt mit dem auf die Veröffentlichung im Amtsblatt folgenden Tag in Kraft.
( 2 ) Die Vorsitzenden der Ausschüsse und Kommissionen der Synoden und der Kirchenpresbyterien A.B. und H.B. sind angehalten, bei Beratung von Angelegenheiten, welche Fragen der Gewaltanwendung gemäß dieser Ordnung betreffen, Stellungnahmen der Ombudsperson und der oder dem Beauftragten für Gewaltprävention einzuholen.