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Kirchengericht:Revisionssenat der Evangelischen Kirche A. und H.B.
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:14.06.2012
Aktenzeichen:R1/2012
Rechtsgrundlage:Art 119 KV, Art 119 Abs 2 KV
Vorinstanzen:keine
Schlagworte: Sonstiges (zB mangelnde Kompetenz des Revisionssenats; Stellungnahmen zu Gesetzesentwürfen), Verfassungswidrigkeit von Gesetzen oder Vereinbarungen mit anderen Kirchen (Art 119 Abs 1 Z 2 u. 3 KV; Art 119 Abs 2 erster Fall KV), Abänderung der Kirchenverfassung, Aufsichtsrecht, Verfassungswidrigkeit
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Leitsatz:

  1. Ein allgemeines Aufsichtsrecht über Maßnahmen und Äußerungen kirchlicher Gremien oder Organe steht dem Revisionssenat nach Art 119 nicht zu. Er hat auch keine Befugnis, für die Zukunft Unterlassung oder Durchführung bestimmter Maßnahmen zu sichern.
  2. Ist die Abänderung einer Kirchenverfassung auf eine gesetzwidrige Art und Weise erfolgt, begründet dies eine Verfassungswidrigkeit der so geänderten Verfassung (Art 119 Abs 2 KV).
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Az: R1/2012
Der Revisionssenat der Evangelischen Kirche A. und H.B. in Österreich hat unter dem Vorsitz seines Präsidenten HRdOGH Dr. Manfred Vogel, der rechtskundigen Mitglieder SPdVwGH i.R.Dr. Ilona Giendl und Präsident dLG i.R. Dr. Hans-Peter Kirchgatterer sowie der zum geistlichen Amt befähigten Mitglieder Pfr. Dr. Gerhard Harkam und Pfr.i.R. Mag. Gottfried Fliegenschnee im Beisein von Sandra Gajic als Schriftführerin im Verfahren über die als ,,Regelwidrige Abstimmung in der Gemeindeversammlung der Vienna Community Church, Anfechtung nach Artikel 119 Abs 3 KV, und Anfechtung der vom OKR A. und H.B. erzwungenen Abänderung der Constitution der VCC" bezeichnete Eingabe der *****, *****, ***** vom 10. Februar 2012, nach der am 14. Juni 2012 durchgeführten mündlichen Verhandlung
folgendes Erkenntnis erlassen:
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1) Die Anfechtung nach Artikel 119 Abs 3 KV wird als unzulässig zurückgewiesen.
2) Die Beschwerde gegen die in der Gemeindeversammlung vom 29.1.2012 beschlossene Abänderung der Constitution der Vienna Community Church wird abgewiesen.
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B e g r ü n d u n g :

Die Beschwerdeführerin bringt zusammengefasst vor, in der Gemeindeversammlung der VCC habe es schon in der Sitzung vom 29.11.2011 eine heftige Debatte zum Thema Abänderung der Constitution gegeben, es sei ein Entschluss gefasst worden, dass die Constitution unverändert rechtsgültig bleibe. In der Sitzung der Gemeindeversammlung der VCC am 29.1.2012 sei das gleiche Thema neuerlich diskutiert und neuerlich zur Abstimmung gebracht worden. Die Gemeindeversammlung habe im Anschluss an den Gottesdienst in den Räumlichkeiten der Evangelisch Reformierten Stadtkirche, 1010 Wien, Dorotheergasse 16 stattgefunden. Es sei sofort aufgefallen, dass viele Mitglieder nicht anwesend waren. Eine Umfrage habe ergeben, dass die Verantwortlichen im Church Board es versäumt hätten, entsprechende Einladungen mit Tagesordnung an die Mitglieder zu versenden. Trotz der unterlassenen zeitgerechten Verständigung zur Sitzungen der Gemeindeversammlung am 29.1.2012 habe die Abstimmung nach dem in der VCC tradierten Abstimmungsmodus stattgefunden (wie in der Gemeindeversammlung am 29.11.2011). Zum Abstimmungszeitpunkt seien 28 Personen anwesend gewesen, wovon 3 Personen den Abstimmungssaal noch vor der Abstimmung verlassen hätten. Von den anwesenden 25 Personen wären für die notwendige 2/3 Mehrheit zur Abänderung der Constitution 17 Ja-Stimmen notwendig gewesen. Der Antrag von ***** habe jedoch nur 16 Ja-Stimmen erreicht. Außerdem sei die Stimmenauszählung von der Gattin des Antragstellers durchgeführt und danach von der Sekretärin des Church Boards kontrolliert worden. Der Moderator Dr. ***** habe das Ergebnis ebenso bekannt gegeben, wie der Antragssteller *****. Die stimmberechtigten Gemeindemitglieder hätten sich für die Beibehaltung der Constitution der VCC entschieden. Das Ergebnis sei in der Sitzung verlautbart und von der Gemeinde zur Kenntnis genommen worden. Am 1.2.2012 sei das Protokoll der Gemeindeversammlung der VCC den Mitgliedern per Mail zugesandt worden. Im Anhang dazu sei mitgeteilt worden, dass eine Stimmennachzählung zeige, dass die notwendige 2/3 Mehrheit doch erreicht worden sei.
Die Beschwerdeführerin macht folgende Rechtsverletzungen geltend:
• Die verantwortlichen Mitglieder hätten es verabsäumt, alle Mitglieder zu einem Abstimmungstermin am 29.1.2012 zeitgerecht einzuladen.
• Es gab keine Tagesordnung zur Sitzung für den 29.1.2012
• Es gab keine geheime Wahl. Bei einer so geringen Anzahl von Wahlberechtigten, (25 Personen) war eine Zuordnung, der in einem Brotkörbchen eingesammelten Stimmen, leicht möglich.
• Es gab kein Komitee für eine ordnungsgerechte Abstimmung
• Die Modalität der Abstimmung wurde den anwesenden Mitgliedern vorenthalten. Somit wurde ein ganz wesentlicher Punkt für die Mitglieder der VCC, die ja aus allen Erdteilen der kommen, nicht erledigt.
• Es gab einen Antrag mit Beschluss der Gemeinde zum Thema ,,Änderung der Costitution" am 29.11.2011. Die Gemeinde entschied sich zur Beibehaltung der Constitution in vorliegender Form.
• Es gab danach, am 29.1.2012, einen Antrag mit Beschluss zum Thema,,Änderung der Costitution". Die Gemeinde entschied sich zur Beibehaltung der Constitution in vorliegender Form, ohne davor den Beschluss vom 29.11.2011 zu reassimieren bzw. aufzuheben.
• Erst 3 Tage später wurde durch den Moderator ***** mitgeteilt, dass man das Abstimmungsergebnis leider zu korrigieren hätte und sich die Gemeinde doch für die Abänderung der Constitution entschieden hat.
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Die Beschwerdeführerin ersucht den Revisionssenat, ihren Einspruch im Zusammenhang mit dem geschilderten Abstimmungsverfahren in der VCC anzuerkennen; sie beantragt die Annullierung des Abstimmungsergebnisses und ersucht ,,ihr weitere Maßnahmen zu nennen".Weiters ersucht sie den Revisionssenat, die Beibehaltung der Entscheidungsfindung des Revisionssenates zur Zahl R2/2010 vom 17.12.2010 zu sichern. Angeschlossen waren der Eingabe ein Schreiben des Oberkirchenrates A. und H.B. Wien vom 12.12.2011 (GD 425; 2880/2011) sowie je eine Bestätigung der *****, des ***** und der ***** vom 11.2.2012 des Inhaltes, dass die Genannten zu den Sitzungen der Gemeindevertretung vom 29.11.2011 und auch vom 29.1.2012 weder eine Einladung noch eine Tagesordnung erhalten hätten. In der mündlichen Verhandlung wurden die Beschwerdeführerin ***** und Moderator Dr. ***** zum Sachverhalt befragt; letzterer legte auch sein Schreiben vom 26.12.2011 vor.
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Der Revisionssenat hält folgenden Sachverhalt für erwiesen:
Das (in englischer Sprache verfasste) Schreiben vom 26. 12. 2011 von ***** wurde allen VCC-Mitgliedern, die über einen mail-account verfügen, per mail, den übrigen per Post zugesendet. Darin wird ein,,Special Congregetional Meeting" für Jänner angekündigt, in dem die Frage der Doppelmitgliedschaft neuerlich beraten werden soll. ,,This is a very serious consideration affecting the immediate future of our church, one that every member should vote on." Im Brief wird auch aufgefordert, über ein im Internet aufrufbares Programm (doodle) die in Frage kommenden Tage in einem Formblatt auszuwählen. Es wurde dann jener Tag für die Sitzung bestimmt, der von den meisten Mitgliedern angekreuzt worden war. Dieser Tag wurde dann auch an zwei Sonntagen im Gottesdienst verlautbart und auf das Thema der Versammlung hingewiesen. An der mittels Stimmzettel durchgeführten Abstimmung über den Antrag von ***** zur Abänderung der Constitution des VCC haben 25 stimmberechtigte Personen teilgenommen. Es wurden 16 Ja-Stimmen, 6 Nein-Stimmen, 2 leere Stimmzettel und ein Stimmzettel mit einem sinngemäß aIs,,Stimmenthaltung" zu übersetzenden Vermerk abgegeben. Als Ergebnis wurde den Mitgliedern des VCC zuletzt schriftlich mitgeteilt, dass der Abänderungsantrag mit einer Mehrheit von 2/3 der Stimmen angenommen worden ist.
Der Revisionssenat hat rechtlich erwogen:
ad 1:
Der Aufgabenbereich des Revisionssenates ist im Artikel 119 der Verfassung der Evangelischen Kirche A. und H.B. in Österreich (KV) geregelt. Gemäß Abs 3 dieser Bestimmung erkennt der Revisionssenat auch über die Anfechtung einer Wahl. Im vorliegendem Fall begehrt die Beschwerdeführerin jedoch nicht die gänzliche oder teilweise Aufhebung einer Wahl, sodass der auf Artikel 119 Abs 3 KV gestützte Antrag zurückzuweisen. Ein allgemeines Aufsichtsrecht über Maßnahmen und Äußerungen kirchlicher Gremien oder Organe steht dem Revisionssenat nicht zu (siehe dazu auch R1/2010 sowie R1/2011); er hat auch keine Befugnis, für die Zukunft Unterlassung oder Durchführung bestimmter Maßnahmen
ad 2:
Gemäß Artikel 119 Abs 2 KV erkennt der Revisionssenat über die Verfassungswidrigkeit von Kirchengesetzen und Verfügungen mit einstweiliger Geltung. Der rechtlichen Auffassung des Moderators, mit 16-Ja-Stimmen und 6-Nein-Stimmen sei die notwendige 2/3 Mehrheit erreicht worden, ist aus folgenden Erwägungen beizupflichten: Artikel 7 § 1 der Constitution der VCC lautet: "This Constitution may be amended by a two-thirds vote at any congregational or spezia1 meeting provided that notice of such a meeting and of the proposed amendments shall have been given at the morning service on the two preceding Sundays, or pmvided that such notice sha1l have been mailed to members of the Church at least ten days before the meeting."
Nach dem klaren Wortlaut dieser Bestimmung erfodert ein verfassungsändernder Beschluss zunächst eine Mehrheitsquote von zwei Drittel. Nähere Ausführungen dazu, wie diese Quote zu berechnen ist (ob von allen von Wahlberechtigten abgegebenen Stimmzetteln oder von allen abgegebenen gültigen Stimmzetteln) fehlen in dieser Bestimmung. Damit bleibt offen, ob leere Stimmzettel und Stimmenthaltungen bei Berechnung der erforderlichen Quote einzubeziehen sind. Im Beschluss R 2/2010 (Aufhebung einer Wahl des Vorstands der VCC) hat der Revisionssenat festgestellt:
,,Am 16.10.2005 wurde die Vienna Community Church von der Evangelischen Kirche A.u.H.B. als Evangelische Personalgemeinde der Evangelischen Kirche A.u.H.B. in Österreich anerkannt.
Die Anerkennungsvereinbarung enthält ua folgende Bestimmungen:
,,1. Die VCC ist eine Pfarrgemeinde (Personalgemeinde) der Evangelischen Kirche A.B. und der Evangelischen Kirche H.B. in Österreich. Ihre Mitglieder kommen aus unterschiedlichen kirchlichen Traditionen (presbyterianisch, lutherisch usw.). Der Bekenntnisstand der Mitglieder bleibt durch deren Mitgliedschaft in der VCC unberührt.
2. Für die VCC und ihre Mitglieder gilt die kirchliche Rechtsordnung (Verfassung) der Evangelischen Kirche A.u.H.B., sofern nichts anderes vereinbart wird. [...]" Gilt demnach für die VCC die kirchliche Rechtsordnung, ist auch § Il Abs 9 Kirchliche Verfahrensordnung (KVO) anzuwenden. Diese Bestimmung lautet: ,,Sofern nichts anderes bestimmt ist, ist ein Antrag dann angenommen, wenn auf ihn mehr als die Hälfte der gültigen Stimmen entfallen. Stimmenthaltungen bzw. Ieere Stimmzettel gelten als nicht gültige Stimmen. Bei Stimmengleichheit gilt ein Antrag als abgelehnt." Zieht man den zweiten Satz dieser Zweifelsregel zur Auslegung des Art 7 § 1 der Constaitution der VCC heran, wie es Punkt 2. der Anerkennungsvereinbarung verlangt, sind von den 25 abgegebenen Stimmen die beiden leeren Stimmzettel und der als Stimmenthaltung gewertete Stimmzettel als ungültig abzuziehen. Von den verbleibenden 22 Stimmen haben 16 für JA gestimmt, womit die erforderliche 2/3 Mehrheit erreicht wurde. Nach dieser aus rechtlichen Gründen gebotenen Berechnungsmethode wurde in der Gemeindeversammlung der VCC vom 29.1.2012 die erforderliche 2/3 Mehrheit für die Abänderung der Constitution erreicht. Die Einberufung dieser Gemeindeversammlung erfolgte nach dem festgestellten Sachverhalt auf die in Art 7 § 1 der Constitution vorgeschriebene Weise (mail und Verlautbarung im Gottesdienst). Ein Verbot, über einen einmal abgestimmten Sachverhalt zu einem späteren Zeitpunkt neuerlich abzustimmen, sofern nur ein entsprechender neuer Antrag vorliegt, besteht weder nach der Constitution der VCC noch nach evangelischem Kirchenrecht.
Der Beschwerde ist deshalb ein Erfolg zu versagen.
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Wien, am 14. Juni 2012
Dr. Manfred Vogel e.h.
Präsident