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Kirchengericht:Revisionssenat der Evangelischen Kirche A. und H.B.
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:12.11.2012
Aktenzeichen:R4/2012
Rechtsgrundlage:Art 119 KV, § 4 und § 6 ProtestantenG
Vorinstanzen:keine
Schlagworte: Beschwerde gegen Bescheide und Maßnahmen wegen Gesetzwidrigkeit oder Verletzung von Rechten des Beschwerdeführers (Art 119 Abs 1 Z 6 u. 7 u. 10 KV; Art 119 Abs 2 zweiter Fall KV), Beschwerde gegen die Neugründung eines Pfarrgemeindeverbandes, Frist, Verfristung einer Anfechtung, Vertrauensschutz
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Leitsatz:

Aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes ist eine Beschlussanfechtung beinahe sieben Jahre nach der Beschlussfassung verfristet.
Der Schutz des Vertrauens jener dritten Personen, die im Rahmen des Aufgabenbereiches des Verbandes mit ihm in Kontakt getreten sind (Friedhofs- und Kirchenbeitragsangelegenheiten), sowie der Schutz der anderen Mitgliedergemeinden des Verbandes auf rechtlichen Bestand des Verbandes verlangt die Verfristung einer Beschwerde, die erst lange nach Veröffentlichung der Gründung des Verbandes im Bundesgesetzblatt eingebracht worden ist (Art 119 KV, § 4 und § 6 ProtestantenG).
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Az: R4/2012
Der Revisionssenat der Evangelischen Kirche A. und H.B. in Österreich hat unter dem Vorsitz seines Präsidenten HRdOGH Dr. Manfred Vogel, der rechtskundigen Mitglieder SPdVwGH i.R. Dr. Ilona Giendl und Präsident dLG i.R. Dr. Hans-Peter Kirchgatterer sowie der zum geistlichen Amt befähigten Mitglieder Pfarrer Dr. Gerhard Harkam und Pfarrer i.R. Mag Beowulf Moser im Beisein von Sandra Gajic als Schriftführerin im Verfahren über den Antrag der Evangelischen Pfarrgemeinde A.B. Wien ***** auf Aufhebung der Beschlüsse der Superintendentialversammlung A.B. Wien vom 4. Juni 2005 im Zusammenhang mit der Neugründung eines „Evangelischen Pfarrgemeindeverbandes A.B. Wien“
in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
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Dem Antrag wird nicht Folge gegeben.
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B e g r ü n d u n g :

Die Antragstellerin begehrt die Aufhebung der Beschlüsse der Superintendentialversammlung A.B. Wien vom 4.6.2005 im Zusammenhang mit der Neugründung eines Evangelischen Pfarrgemeindeverbandes A.B. Wien.
Sie brachte hierzu vor: Es solle zwar die Gründung von Pfarrgemeindeverbänden gefördert werden, die Gründung bedürfe jedoch der ausdrücklichen Zustimmung der Presbyterien der Verbandsgemeinden; die Superintendentialversammlung sei für die Gründung von Pfarrgemeinden nicht zuständig.
Der Evangelische Oberkirchenrat A.B. führte in seiner Stellungnahme aus: Der Beschwerdeführerin fehle nach vielen Jahren des Bestandes des Verbandes das notwendige Rechtsschutzinteresse und die Beschwer. Der Gründungsbeschluss sei vom Evangelischen Oberkirchenrat A.B. ordnungsgemäß genehmigt geworden. Es sei auch nicht ersichtlich, in welchem gewährleisteten Recht die Beschwerdeführerin verletzt sei. Schließlich nehme die Beschwerdeführerin die Vorteile des Verbandes seit Jahren in Anspruch. Die Beschwerde sei daher zurück- bzw. abzuweisen.
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Die Evangelische Superintendentur A.B. Wien äußerte sich wie folgt:
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Sämtliche Pfarrgemeinden seien über die bevorstehende Umstrukturierung informiert worden. Die Beschwerdeführerin sei bei den Abstimmungen ordnungsgemäß vertreten gewesen, sie habe in der Folge die rechtliche Existenz des neu gegründeten Verbandes nicht in Zweifel gezogen und auch nicht die Möglichkeit des Austrittes in Anspruch genommen. Die anderen Gemeinden des neuen Verbandes dürften aus Gründen der Rechtssicherheit darauf vertrauen, dass die Beschwerdeführerin gegen die Gründung und die Existenz des Verbandes nicht vorgehe. Die Beschwerde wolle daher zurückgewiesen, in eventu abgewiesen werden.
Der Evangelische Pfarrgemeindeverband A.B. Wien verwies in seiner Stellungnahme auf die Schriftsätze des Evangelischen Oberkirchenrates A.B. und der Evangelischen Superintendentur A.B. Wien und schloss sich deren Anträgen an.
Die Beschwerde ist nicht berechtigt.
Aufgrund der von den Antragsgegnern vorgelegten Urkunden ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:
Jedenfalls seit Herbst 2004 wurde die Neustrukturierung der Superintendenz Wien inklusive „Verband“ diskutiert. Hierbei wurden nicht nur die Mitglieder der Superintendentialversammlung sondern auch die Schatzmeister und Kuratoren der einzelnen Gemeinden einbezogen.
In der Superintendentialversammlung vom 4.6.2005, in der auch die Beschwerdeführerin vertreten war, wurde mehrheitlich unter anderem folgender Beschluss gefasst:
„Die Pfarrgemeinden, welche dem Verband angehört haben, bilden mit 1. Jänner 2006 gemäß §§ 8 und 63 KV einen Verband der für sie
1. die das Kirchenbeitragswesen betreffenden Aufgaben gemäß § 4 Absatz 1 der Kirchenbeitrags- und Finanzausgleichsordnung (KbFAO) und
2. jene der Erhaltung und Verwaltung der Wiener Friedhöfe gemäß den dafür geltenden und zuletzt am 2.4.1986 genehmigten Bestimmungen besorgt,
und zwar aufgrund einer Verbandsgemeindeordnung die als Anlage 1 angeschlossen ist.
Der Superintendentialausschuss A.B. erklärt vorab, dass er dazu die erforderlichen Genehmigungen erteilen wird.“
Der Evangelische Oberkirchenrat A.B. genehmigte die Errichtung des Pfarrgemeindeverbandes A.B. Wien und die Ordnung des Verbandes am 14.6.2005.
Gemäß § 6 des Protestantengesetzes wurde im staatlichen BGBl kundgemacht: „Der Pfarrgemeindeverband A.B. Wien wurde mit Wirkung vom 1.1.2006 als Werk der Evangelischen Kirche A.B. errichtet. Er genießt (...) die Stellung einer Körperschaft öffentlichen Rechts“. Die Mitteilung des Bundesministeriums für Unterricht über diese beabsichtigte Veröffentlichung datiert vom 12.12.2006.
Rechtlich ergibt sich daraus:
Zum Zeitpunkt der Beschlussfassung durch die Superintendentialversammlung am 4.6.2005 galt Artikel 31 der KV 2006, auf den die Beschwerdeführerin verweist, noch nicht. Die KV 1949 in der damals geltenden Fassung bestimmt im § 8, dass sich Gemeinden mit Genehmigung des Oberkirchenrates unter anderem zur Erfüllung gemeinsamer Aufgaben und zur Befriedigung gemeinsamer Bedürfnisse zu einem Verband zusammenschließen können. Gemäß § 60 KV bedarf es hierzu übereinstimmender Beschlüsse der Presbyterien.
Ob diese übereinstimmenden Beschlüsse der Presbyterien durch einen Beschluss der Superintendentialversammlung, in der die Gemeinden repräsentiert sind, ersetzt werden könnte, kann dahingestellt bleiben.
Aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes ist eine Beschlussanfechtung beinahe sieben Jahre nach der Beschlussfassung verfristet.
Gemäß § 6 Protestantengesetz hat das Bundesministerium für Unterricht im Bundesgesetzblatt jeweils kund zu machen, welche Gemeinden und Einrichtungen der Evangelischen Kirche Rechtspersönlichkeit des öffentlichen Rechts zukommt.
Gemäß § 4 dieses Gesetzes erlangen künftig zu errichtende Gemeinden und nach kirchlichen Recht mit Rechtspersönlichkeit ausgestattete Einrichtungen auch für den staatlichen Bereich Rechtspersönlichkeit des öffentlichen Rechts mit dem Tag des Einlangens der von der Evangelischen Kirchenleitung ausgefertigten Anzeige beim Bundesministerium für Unterricht, welches das Einlangen schriftlich zu bestätigen hat.
Der Beschwerdeführerin stand bis zum Wirksamwerden des Gründungsbeschlusses bzw. zum Tätigwerden des Bundesministeriums für Unterricht bezüglich der Veröffentlichung gemäß § 6 Protestantengesetz ein ausreichend langer Zeitraum zur Verfügung (ca. ein halbes Jahr bzw. eineinhalb Jahre), um rechtliche Schritte gegen den nun bekämpften Beschluss zu setzen.
Der Schutz des Vertrauens jener dritten Personen, die im Rahmen des Aufgabenbereiches des Verbandes mit ihm in Kontakt getreten sind (Friedhofs- und Kirchenbeitragsangelegenheiten), sowie der Schutz der anderen Mitgliedergemeinden des Verbandes auf rechtlichen Bestand des Verbandes verlangt die Verfristung einer Beschwerde, die erst lange nach Veröffentlichung der Gründung des Verbandes im Bundesgesetzblatt eingebracht worden ist.
Der Antrag ist daher verfristet und nicht berechtigt.
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Wien, am 12. November 2012
Dr. Manfred Vogel e.h.
Präsident